Dr. Nils Kaiser

Dr. Nils Kaiser: der Urvater der unblutigen Blutzuckermessung

Autoren: Dr. Katrin Kraatz, Matthias Heinz

Die unblutige Blutzuckermessung ist ein Wunschtraum vieler Diabetiker. Forscher aus aller Welt arbeiten an der Entwicklung einer solchen Methode. Viele der heutigen Entwicklungen basieren auf den Prinzipien, die Dr. Nils Kaiser – der Urvater dieser Methode bereits 1957 zu entwickeln begann. Einige Verfahren und Geräte konnte er sich damals patentieren lassen.

Dr. Nils Kaiser beantwortete unsere Fragen.

Unblutige Blutzuckermessung – welcher Diabetiker sehnt sich bei Betrachtung seiner völlig zerstochenen Fingerkuppen nicht nach dieser neuen Methode? Und auch ihnen würde wahrscheinlich die Empfehlung, mehrfach am Tag den Blutzucker zu messen, leichter über die Lippen gehen. Denn: Sie wüßten, daß der Patent sich nicht ständig selbst verletzen muß. Die unterdrückten Schmerzlaute vor den gemeinsamen Mahlzeiten in der Schulung würden auch Ihnen keinen Schmerz mehr bereiten. Lange schon geistern in regelmäßigen Abständen Schlagzeilen durch die Medien, die den Durchbruch der neuen Methode verkünden. Sieht man genauer hin und fragt nach, sind es meist nur erste Forschungsergebnisse; bis zum endgültigen Gerät für den breiten Einsatz ist immer noch ein weiter Weg. Wie das folgende Interview zeigt, stammen die ersten erfolgversprechenden Forschungsansätze aus den 50er Jahren. Fast 50 Jahre sind seitdem vergangen – 50 Jahre, in denen sich aber immerhin Fortschritte in die richtige Richtung gezeigt haben.

Diabetesprofi (DP):
Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, unblutig Blutzucker zu messen?

Dr. Nils Kaiser:
Aufgrund meiner physiologisch-chemischen Doktorarbeit wurde ich bei Professor Forst, Ordinarius für Pharmakologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, mit der Untersuchung der Wirkung von Calcium-Ionen am isolierten Meerschweinchenherzen beauftragt. Die vorgesehene Untersuchungsmethode erschien mir derart unphysiologisch, daß ich nach einer physiologischen Meßmethode zu suchen begann.
Diese zu entwickelnde Meßmethode sollte den kontinuierlichen Ablauf von Stoffwechselvorgängen in den beobachteten Organismen unter geringstmöglicher Störung durchführbar machen und letztendlich beim Menschen anwendbar und billig sein. Als Arzt schwebte mir eine Screeningmethode vor, die den Patienten frühzeitig vor Stoffwechselerkrankungen warnt, noch bevor er sich selber krank fühlt oder Krankheitssymptome bemerkt. Besonderer Schwerpunkt sollten non-invasive In-vivo-Blutzuckermessungen im Zusammenhang mit Diabetesfrüherkennung und dessen Verlaufskontrolle sein.

DP: Was waren die Eckpunkte Ihres ursprünglichen Verfahrens?

Kaiser:
Die lnfrarot-(IR-)Spektroskopie bot sich als mögliches Verfahren zur Untersuchung biologischer Objekte unter physiologischen Bedingungen an. Ich mußte aber bald einsehen, daß dieser Weg zunächst unbegehbar erschien, da seinerzeit das Wasser noch als “Todfeind der IR-Spektroskopie” bezeichnet wurde. Aus diesen Gründen gab es auch praktisch im gesamten lnfrarotbereich noch keine brauchbaren Spektrendokumentationen wässriger Lösungen.

So wurde zunächst versucht, mit leistungsstarken Mikrowellengeneratoren vom Mikrowellenbereich her kommend in den Bereich der IR-Wellenlängen vorzudringen. Diese Technik benötigte keine wasserempfindlichen optischen Bauteile und besaß außerdem noch weitere Vorteile. Dadurch konnte die Meßempfindlichkeit gegenüber der damaligen IR-Technik erheblich verbessert werden. In Zusammenarbeit mit Dr. O'Brien baute ich ein Interferometer mit einer Wellenlänge von 3 cm (10 GHz) auf, mit dem Phase und Betrag hochempfindlich gemessen werden konnten. Es zeigte sich jedoch sehr bald, daß ein Vordringen in den für die Biologie und Medizin wirklich interessanten Bereich der infraroten Wellenlängen mit der Mikrowellentechnologie nicht möglich war.

Mit der neuen Entwicklung der Lasertechnik kam ich 1965 in Kontakt. Durch diese neue Technik konnte die hohe Wasserdämpfung bei wässrigen Lösungen und biologischen Fragestellungen überwunden werden. Es war zu erwarten, daß in einem extrakorporalen Kreislauf mit einem CO2-Laser der CO2-Gehalt im Blut des Versuchstieres meßbar sein müßte. Das Verfahren bewies im Tierversuch und in technisch-industriellen Fragestellungen seine außerordentlich hohe Meßempfindlichkeit.

Inzwischen hatte auch die konventionelle Spektrometertechnik erhebliche Fortschritte gemacht (FTIR-Technik). Mit dem ATR(attenuated total reflection-)Prinzip zur Ankopplung der IR-Strahlungsquelle an das Meßobjekt konnten die erforderlichen Informationen über die Zusammensetzung der Meßprobe, z.B. Gewebe oder Blut, und deren eventuelle Änderungen gewonnen werden, ohne daß das Meßobjekt verletzt wird. Zusätzlich wird die Wärmebelastung auf mehrere Einfallstellen verteilt, wodurch die absolute Meßintensität erhöht werden kann.

DP: Wie lange ist das alles her, welche Schritte wurden patentiert?

Kaiser:
Begonnen hat alles 1957 mit meiner Anstellung bei Professor Forst. Das erste Patent meldete ich im November 1958 an: “Verfahren und Vorrichtung zur Registrierung chemischer Reaktionen”. 1962 folgte das Patent für Verfahren zur Untersuchung, der chemischen und physikalischen Beschaffenheit von Stoffen”, 1965 Vorrichtung zur Untersuchung der chemischen und/oder physikalischen Beschaffenheit von Stoffen”. Das Gerät zur Bestimmung des C02-Gehaltes einer biologischen Substanz” und das “Gerät zur Bestimmung der Zusammensetzung einer Substanz durch optische Strahlung konnte ich 1970 patentieren. 1976 folgte mein letztes Patent: “Gerät zur Bestimmung des Gehalts von Stoffwechselprodukten im Blut”. Sämtliche aufgezählten Patente beziehen sich auf Meßverfahren mit elektromagnetischen Wellen. 1979 hat die Firma Hoechst eine Option auf meine Patente genommen, aber – soweit ich das übersehen konnte – wenig bis gar keinen Gebrauch davon gemacht. Leider sind alle meine Patente inzwischen verfallen. Festzustellen ist aber, daß meine Patente bei 35 US-Patenten der zur Zeit laufenden Entwicklungen als References zitiert wurden.

DP: Gibt es Parallelentwicklungen?

Kaiser:
Nach meinen umfangreichen Recherchen gibt es vor 1979 keine Parallelentwicklungen. Erst nach der zweiten diesbezüglichen Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft im September 1978 setzte ein weltweites Interesse an meinem Verfahren ein. Von dieser Zeit stammen erste Kontakte mit Professor Shichiri von der Kumamoto-Universität in Japan, der eine sehr interessante Lichtleiterversion, mit ATR-Kristall an der Lippe nach meinen Vorschlägen entwickelt hat. Die Firmen Johnson & Johnson, Abbott und Roche Diagnostics sollen, wie ich aus zuverlässiger Quelle erfahren habe, ganz erhebliche Summen in die Entwicklung entsprechender Geräte investieren.

DP: Welche Resultate wurden mit dem Verfahren wirklich erreicht?

Kaiser:
Bei einer Tagung zur Infrarot-Spektroskopie als neues Instrument in der Medizin in Kalifornien 1998 stellten Forscher aus aller Welt die unterschiedlichsten Einsatzmöglichkeiten dieser Technologie vor: in der Krebs-Erkennung, der mikrobiologischen Diagnostik, aber auch der Analyse von Bestandteilen des Bluts – wie z.B. dem Blutzucker.

DP: Gibt es Ihrer Meinung nach heute bereits ein Gerät, das, basierend auf Ihren ursprünglichen Vorstellungen, dem Ziel der “unblutigen Blutzuckermessung” nahekommt?

Kaiser:
Meiner ursprünglichen Vorstellung sehr nahe kommen zweifellos der Diasensor (UltraPharm) und das Gerät von Professor Shichiri. Die Meßwerte beider Entwicklungen sind aber noch nicht zuverlässig genug, um eine Anwendung beim Patienten zu erlauben.

DP: Wie bewerten Sie den Diasensor 1000?

Kaiser:
Das Problem des Anpreßdrucks an das Meßgerät ist beim Diasensor recht gut gelöst. Die mehr oder weniger gute Durchblutung des Unterarms, z. B. nach sportlicher Aktivität, stellt aber noch eine viel zu große Fehlerquelle dar. Die Blutmenge, die den Meßwert liefert, muß zur Berechnung möglichst exakt in die Software eingehen.

DP: Warum wurde dieser von der amerikanischen Food and Drug Administraton zunächst abgelehnt?

Kaiser:
Ich vermute, daß es der oben dargestellte Grund ist. Aber ich habe keine genaue Kenntnis darüber.

DP: Wie denken Sie, daß es weitergeht? Wann liegen tatsächlich marktreife Entwicklungen vor?

Kaiser:
Meine ursprüngliche Idee war, ein größeres Gerät z. B. für Kliniken zu entwickeln. Für sie wäre das eine schnell durchzuführende und billige Screeningmethode, mit der in einem Meßvorgang mehrere Stoffwechselparameter gemessen werden können. Aber ich bin der Ansicht, daß vor allem aus kommerziellen Gründen versucht wurde, zuerst ein kleines und relativ preiswertes Gerät für eine breite Anwendergruppe, nämlich die Diabetiker, herzustellen. Wenn das möglich wäre, würde ich mich sehr freuen.

DP: Herr Dr. Kaiser, wir danken Ihnen, daß Sie unsere Fragen beantwortet haben,

Der Artikel wurde modifiziert übernommen aus “Diabetesprofi”, Heft 4/2000, Verlag Kirchheim + Co GmbH
KK, Kirchheim-Verlag, 12. Juni 2004

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