Dr. Nils Kaiser

Leserbrief

Infrarot-Spektroskopie und ihre potentiellen Möglichkeiten in der Klinischen Chemie

Bezugnehmend auf das Übersichtsreferat von H. M. Heise aus dem Institut für Spektrochemie und angewandte Spektroskopie Dortmund (Lab.med 15. 470-476 (1991).

Das Übersichtsreferat von H. M. Heise gibt einen sehr informativen Einblick in den derzeitigen Stand der Forschung auf diesem Gebiet. Das in der Schlußbetrachtung dieses Artikels als denkbar angesprochene Gerät zur unblutigen Glukosemessung für den Diabetiker zu Hause, das schon bei Beginn meiner Arbeiten (1958) meine Zukunftsvision war, scheint offenbar schneller als gedacht Wirklichkeit zu werden (1), nachdem sich die Firma Futrex in Gaithersburg MD/USA bereits mit der klinischen Erprobung einer solchen, von ihr entwickelten Apparatur befaßt. Neben einer erheblichen Erleichterung für den Diabetiker ergibt sich daraus auch noch die potentielle Entwicklungsmöglichkeit eines Sensors für ein künstliches Pankreas.

Dieses jetzt zum Durchbruch kommende unblutige und von biologisch schädlichen Nebenwirkungen freie Meßprinzip läßt sich nicht nur auf die Registrierung der Glukose, sondern grundsätzlich auch auf die Messung einer ganzen Anzahl weiterer Blut- und Gewebsparameter anwenden. Als über 30 Jahre auf diesem Forschungsgebiet tätiger Labormediziner freue ich mich sehr über die nunmehr gelungene technische Realisierung meiner ursprünglichen Vorstellung. Da ich jedoch hier und anderweitig unvollständig oder unrichtig zitiert wurde, möchte ich zur Historie einige Anmerkungen machen.

Seit 1958 wurde die Fragestellung der unblutigen Stoffwechselregistrierung durch elektromagnetische Wellen von mir untersucht, was zu ersten Patentanmeldungen 1958 (2) und 1962 (3) führte. Über viele Jahre habe ich dieses Forschungsvorhaben alleine vorangetrieben. Seit 1960 genoß ich das Gastrecht – zunächst des Instituts für Physik und Astrophysik in München und später des Instituts für Plasmaphysik in Garching – der Max-Planck-Gesellschaft, wobei mir zeitweilig Berater und Mitarbeiter (Diplomanden und Doktoranden) zur Verfügung standen.

Zu Beginn der Arbeit gab es praktisch keine Erfahrung auf dem Gebiet der Untersuchung von wässrigen Lösungen im lnfrarotbereich. W. Brügel hatte das Wasser noch als „Todfeind“ der IR-Spektroskopie bezeichnet (4). Damals gab es weder leistungsfähige Generatoren noch ausreichend empfindliche Detektoren im IR-Bereich, um wässrige Lösungen untersuchen zu können. Da die meisten optischen Bauteile aus NaCl bestanden, waren sie für derartige Untersuchungen nur bedingt oder gar nicht zu verwenden; daher versuchte ich in den ersten Jahren mit der damals ausgereiften Microwellentechnik in den IR-Bereich vorzudringen (5, 6, 7, 8, 9), bis sich die Durchführbarkeit als technisch zu schwierig erwies

Es gelang aber, Gerinnungsexperimente (Recalcifizierung von Citratblut) mit einer Mikrowellenmeßbrücke nach Dämpfung und Phase in vitro qualitativ zu registrieren (6, 1965; 10).

Eine völlig neue Perspektive ergab sich aus der damaligen stürmischen Entwicklung der Lasertechnik, mit welcher nunmehr leistungsstarke Generatoren im IR-Bereich zur Verfügung standen. Mit Hilfe von Mitarbeitern des IPP der MPG konnte ich einen CO2-Lasermeßplatz aufbauen. Es war zu erwarten, daß damit der CO2-Gehalt des Blutes in der Resonanzfrequenz signifikant gemessen werden konnte. Gemeinsam mit Herrn Prof. Meßmer, Experimentelle Chirurgie der LMU München wurde im Tierexperiment ein extrakorporaler Kreislauf durch eine Meßküvette gelegt und der CO2-Gehalt des Blutes durch Veränderung der Beatmung des intubierten Hundes registriert. Über parallele Blutentnahme konnten durch die relativ einfache Bestimmung der HbO-Konzentration die signifikanten Meßwerte indirekt bestätigt werden.

Außerdem konnte mit diesem Experiment nachgewiesen werden, daß der extrakorporale Kreislauf durch eine Meßküvette mit meßbarer Schichtdicke aufrechterhalten werden kann, ohne daß das durchströmende Blut durch die hohe Laserleistung zur Gerinnung gebracht wird; ebenso konnte gezeigt werden, daß die Zellstruktur des Blutes, die zumindest bei den Erythrozyten in der Größenordnung der Meßwellenlänge liegt, offensichtlich den Meßvorgang nicht stört (11, 12, 13). Mit diesen Experimenten erwiesen sich meine grundsätzlichen Überlegungen als richtig.

Mit weiteren Versuchen konnte die Möglichkeit der Anwendung dieses Meßprinzips auch auf technisch-industrielle Fragestellungen demonstriert werden (15).

Zur quantitativen Bestimmung von Substanzen mittels Spektroskopie wird ein möglichst breites Frequenzband auf seiten des Generators benötigt. Mit Lasern als Lichtquellen konnte dieses Ziel im nahen und fernen IR damals noch nicht erreicht werden. Dieser Nachteil stand den Vorzügen des Lasers als intensive Strahlungsquelle deutlich entgegen. Inzwischen hatte auch die konventionelle Spektrometertechnik erhebliche Fortschritte gemacht (FTIR-Technik). Um eine direkte Durchstrahlung des Gewebes wegen der hohen Absorptionsrate und der damit verbundenen Wärmebelastung der Probe zu vermeiden, verwendete ich schon relativ bald das ATR (attenuated total reflection)-Prinzip zur Ankopplung der IR-Quelle an die Probe. Mit dieser Technik kann allein durch Bestrahlung der Oberfläche der Probe die erforderliche Information über deren Zusammensetzung gewonnen werden (13, 16, 17, 18). Praktisch wurde dieses Prinzip in mehreren Versuchen erprobt, unter anderem durch Anpressen von vorher getrockneter Lippe oder Zunge an eine in den Strahlengang eingebaute ATR-Platte. Die Meßergebnisse waren ermutigend (17).

Trotzdem war es damals leider nicht möglich, selbst Sachverständige in den entsprechenden Gremien von den Möglichkeiten und der Bedeutung einer weiterführenden Forschung auf diesem Gebiet zu überzeugen und die Fortführung des Projekts sicherzustellen. Herr Prof. J. Kruse-Jarres trat im Jahre 1979 mit dem Vorschlag zur Zusammenarbeit an mich heran; auch ein gemeinsam mit ihm gestellter Förderungsantrag, in den von mir bis dahin noch unveröffentlichte Ergebnisse eingebracht worden waren, hatte keinen Erfolg.

Im Jahre 1987 teilte mir Herr Marbach seine Absicht mit, das Forschungsvorhaben weiter zu bearbeiten. Da ich inzwischen aus Altersgründen aus der aktiven Forschung ausgeschieden war, habe ich ihm alle, für die weitere Durchführung des Vorhabens wichtigen, bis dahin erarbeiteten Unterlagen und Erkenntnisse sowie prospektive Arbeits- und Auswertungsvorschläge (Antrag gemeinsam mit Prof. J. Kruse-Jarres) zur Verfügung gestellt. Herr R. Marbach fand dann den Kontakt zu Herrn Dr. H. Heise im ISAS in Dortmund, woraus sich die in dem vorliegenden Übersichtsreferat dargelegte erfolgreiche Zusammenarbeit ergab, zu der ich sporadisch noch einige Ratschläge beisteuern konnte.

So enthält bereits ein von mir am 6. Juni 1984 an das BMFT gestellter Förderungsantrag den Vorschlag, die erhaltenen Meßwerte über computergestützte Auswertealgorithmen weiterzuverarbeiten.In naher Zukunft ist damit zu rechnen, daß sowohl bei den IR-Strahlungsquellen, zum Beispiel mit durchstimmbaren Lasern bei der Ankopplungstechnik an die Meßprobe (ATR-Prinzip), als auch auf seiten der Detektoren die Technologie weitere Fortschritte macht. Zusammen mit den bei Heise erwähnten neuen, computergestützten Auswertealgorithmen lassen sich diese Entwicklungen den Einzug der IR-Spektroskopie in die Routine des medizinischen und biologischen Analyselabors in greifbare Nähe rücken.

An der Förderung meiner Arbeit war eine große Zahl von Personen und Institutionen beteiligt, so vor allem der Stifterverband der Deutschen Industrie, die Max-Planck-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundesministerium für Forschung und Technologie und die Fraunhofergesellschaft. Besonders den leitenden Herren dieser Institutionen, die mir persönlich geholfen haben, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Ich nehme auch gerne die Gelegenheit wahr, all jenen zu danken, die mir durch Rat und Tat zur Seite gestanden sind. Ihre Zahl ist so groß, daß es mir leider nicht möglich ist, sie persönlich hier zu nennen.

Schrifttum:

1. Rosenthal Robert, D. & Paynter Lynn, N. (1991) A Portable Noninvasive Blood Glucose Meter. 14th Internat. Diabetes Federation Congress 23.-28. Juni 1991 Washington DC, May 1991 Volume 40, Supplement 1, Poster Nr. 1244. Persönliche Mitteilung 3. Februar 1992.

2. Kaiser, N. (1958) Verfahren und Vorrichtung zur Registrierung chemischer Reaktionen. DBP-Anmeldung Nr. K 36308 IX/42 1.

3. Kaiser, N. (1961) Verfahren zur Untersuchung der chemischen und physikalischen Beschaffenheit von Stoffen. DBP-Anmeldung Nr. 1 698 234.

4. Brügel W. (1962) Einführung in die Ultrarotspektroskopie. Steinkopf Verlag, 3. Auflage, 255.

5. Kaiser, N. (1962) Prüfung der Verwendbarkeit elektromagnetischer Wellen zur Registrierung von Stoffwechselvorgängen in biologischen Geweben. O’Brien, B. B.: Berechnung der minimal meßbaren Phasen und Leistungsänderung. Preuß, H. Diskussion der Möglichkeiten, die sich bei Anwendung der Hochfrequenz-Mikrowellen- und Ultrarotspektroskopie auf Reaktionsvorgänge unter besonderer Berücksichtigung biologischer Fragestellungen ergeben. Tutter, M. Zur Messung dielektrischer Stoffkonstanten mit Mikrowellen. Gemeinsamer Laborber. MPI für Physik und Astrophysik, München.

6. Kaiser, N. Laborberichte: Juli 1963, Januar 1964, Juni 1964, Dezember 1964, Juni 1965 Prüfung der Verwendbarkeit elektromagnetischer Wellen zur Registrierung von Stoffwechselvorgängen in biologischen Geweben. Laborberichte aus dem MPI für Physik und Astrophysik, München.

7. Kaiser, N. (1965) Vorrichtung zum Untersuchen der chemischen und/oder physikalischen Beschaffenheit von Stoffen. DBP Nr- 1 291 541 und 8 dazugehörende Auslandsschutzrechte.

8. Von Casimir, W., Kaiser, N., Keilmann, F., Mayer, A., Vogel, H. (1968) Dielectric Properties of Oxyhemoglobin and Deoxyhemoglobin in Aqueous Solution at Microwave Frequencies. Biopolymer, Vol. 6, PP 1705-1705.

9. Kaiser, N. (1968) Messung der Dielektrizitätskonstanten von Hämoglobinstrukturveränderungen in wäßriger Lösung mit Mikrowelleninterferometer mit hochempfindlichem Detektor und unter Verwendung einer Durchflußküvette. Proc. 16th Colloquium of the Biological Fluids, Brügge. Vol. 16, S. 8.81-86, Pergamon Press.

10. Kaiser, N. (1969) lnvestigations of the Metabolism in Biological Systems Using Microwave and Infrared Spectroscopy. The Third International Biophysics Congress of the International Union for Pure and Applied Biophysics. 29th Aug.- 3rd. Sept. 1969, Cambridge, Massachusetts Abstracts IZ, 4 p. 159.

11. Institut für Plasmaphysik 8046 Garching. IPP- Nr. 14/15. 12.1969 Medizinische Diagnostik der Zukunft mit Laserlicht.

12. Schenker, N. D. (1970) Medical Potential of Lasers, Ges. für Mediz. u. Wissenschaftl. Filmproduktion, München. Ärztl. Fortbildungsfilm der Fa. Upjohn; ca. 100 Kopien.

13. Kaiser, N. (1970) DBP Nr. P 20 39 382, P 20 45 386, P 20 58 064, P 26 06 991. Sowie 18 dazugehörende Auslandsschutzrechte.

14. Kaiser, N. (1973) Access to Metabolic Processes in Living Matter Made Possible by the Laser. Modern Techniques in Physiological Sciences. Gross, J. F., et al. Academic Press. London, p. 237-243

15. Kraus, G., Maler, M., Kaiser, N. (1974) Detection of Water Pollution by a CO2-Laser Optics Communications Vol. 11, Nr. 2, p. 175,-177

16. Kaiser, N. (1977) Laser Absorptions Spektroskopie mit ATR-Platte. Laser 77 Opto-Electronics, Conference Proceedings ipc science and technology press, S. 543-551.

17. Max-Planck-Ges. München MPG-Presseinformation PRI 19/78 14. Sept. 1978, Unblutiger Test fürs Blut.

18. Kaiser, N. (1979) Laser Absorption Spectroscopy with ATR- Prism, IEEE Transactions on Miomedical Eng. BME 26, p. 597-600

Dr. Nils Kaiser, Laborarzt, Germeringer Straße 36, 8035 Gauting